Grundstücksvergaberichtlinien 2021
8.7.2021: Die SPD-Fraktion sieht manche Veränderung kritisch und spricht von "verschlimmbesserung"
Auf Antrag der CDU Fraktion sind in der Ratssitzung am 29.04.2021 reformierte Grundstücksvergaberichtlinien beschlossen worden. Inwiefern die neuen Richtlinien der angestrebten Zielsetzung einer Vereinfachung und Modernisierung gerecht werden, haben wir für Sie genauer unter die Lupe genommen. Der tabellarische Vergleich verdeutlicht, dass stellenweise womöglich eher „verschlimmbessert“ wurde. Insbesondere die finanziellen und sozialen Mehrbelastungen von Familien bzw. Alleinerziehenden finden in unseren Augen nicht ausreichend Berücksichtigung in der Bepunktung. Ein bewusst überzeichnetes Rechenexempel veranschaulicht das Dilemma.
Fiktives Rechenexempel:
Hier ein Beispiel, um die von der CDU beantragte neue Punkteungerechtigkeit zu verdeutlichen: Eine alleinerziehende Mutter von 4 Kindern möchte nicht mehr zur Miete wohnen, sondern ein Grundstück erwerben und ein Mehrgenerationenhaus bauen, um neben den Kindern auch ihre pflegebedürftigen Eltern zu versorgen. Ein alleinstehender, vollerwerbstätiger Mann ohne Kinder, ohne pflegebedürftige Angehörige und ohne Grundvermögen, aber mit einer Eigentumswohnung möchte ebenfalls ein Haus für sich bauen.
Zunächst werden die Bewerber:innen in eine von zwei (vormals fünf!) Bewerbergruppen eingruppiert und priorisiert. Folgt man den neuen Vergaberichtlinien, wird nicht mehr zwischen Familien und Einzelpersonen unterschieden und die Tatsache, dass der fiktive Beispielmann bereits einen finanziellen Vorteil durch Erwerbstätigkeit und Eigentum in Form einer Wohnung hat (aus unerfindlichen Gründen forciert die CDU eine Unterscheidung zwischen Grundvermögen und Eigentumswohnung), findet keine Berücksichtigung. Beide Bewerber:innen landen in der Bewerbergruppe I. Es folgt die Bepunktung: In der Kategorie 1 „Beziehung zum Standort Hövelhof“ können, sofern bestimmte Voraussetzungen (Hauptwohnsitz, Arbeitsplatz, Rückkehr in Heimatort) erfüllt sind, Punkte pro Jahr gesammelt werden (maximal 30 Punkte). Unsere alleinerziehende Beispielmutter ist 28 und lebt seit jeher in Hövelhof, bekommt also 28 Punkte. Der Beispielbewerber ist 30 und wohnt ebenfalls seit seiner Geburt ununterbrochen in Hövelhof, weil er zwei Jahre älter ist als seine Mitbewerberin kann er 30 Punkte in dieser Kategorie geltend machen.
In der Kategorie 2 „Familienverhältnisse“ wird die Betreuung der 4 Kinder durch die alleinerziehende Beispielmutter mit 8 Punkten je Kind berechnet. Wie bereits erwähnt, wird der Status ‚alleinerziehend‘ gar nicht berücksichtigt und auch die Pflege von Angehörigen (einmalig 5 Punkte) kann nicht mehr mit in die Berechnung einfließen, da bei 4 Kindern á 8 Punkten bereits die Maximalpunktzahl von 30 Punkten für diese Kategorie überschritten ist. Der männliche Beispielbewerber trägt keinerlei (finanzielle) familiäre Verantwortung und geht in dieser Kategorie entsprechend leer aus.
In der Kategorie 3 „ehrenamtliches Engagement“ bekommt die alleinerziehende Beispielmutter nur 2 Punkte, weil die Betreuungszeit für Kinder und Großeltern nur eine eher passive Mitgliedschaft im örtlichen Sportverein zulässt. Der Beispielmann hingegen hat mehr freie Zeit und engagiert sich seit Jahren vielseitig in mehreren Gruppierungen. Neben den Mitgliedschaften im Sportverein, Gesangverein und Heimatverein ist er Kassierer im Schachclub, Übungsleiter beim Sport, stellvertretender Chorleiter und im Vorstand der Schützen aktiv. Für diese Kategorie sammelt er die maximal mögliche Punktzahl von 30 Punkten (3x2 Punkte pro Mitgliedschaft, 4x6 Punkte pro aktive Mitgliedschaft/Funktion/Vorstandstätigkeit/Übungsleiter). Außerdem hat er vor zwei Wochen ein Kleingewerbe angemeldet und bekommt deshalb noch 5 Punkte aus der Kategorie 4 „Gründerbonus“.
Schlussendlich wird aufsummiert und verglichen: Die alleinerziehende 28-jährige Beispielmutter von 4 Kindern, die ihre pflegebedürftigen Eltern selbst versorgen möchte, nicht erwerbstätig ist und kein Eigentum besitzt, kommt auf insgesamt 60 Punkte. Der alleinstehende vollzeiterwerbstätige, vielseitig engagierte Mitbewerber mit Eigentumswohnung hingegen kommt auf insgesamt 65 Punkte und gewinnt das Rennen um bezahlbares gemeindliches Bauland.
Das sicherlich überspitzt dargestellte Fallbeispiel offenbart das Ungleichgewicht in Sachen Bepunktung. Das ist für uns als SPD untragbar. Familien mit Kindern und Alleinerziehende sind ein Fundament unserer Gesellschaft. Sie stellen mit Ihrer Bereitschaft, Kinder groß zu ziehen, sicher, dass der Generationenvertrag noch aufrechterhalten werden kann. Das muss in einem Grundstücksvergabeverfahren Berücksichtigung finden! Wir finden, dass es in der Kategorie „Familienzuschlag“ überhaupt keine Punktebegrenzung geben darf. Hier müssen die Herausforderungen bei der Kindererziehung, der Pflege von Angehörigen oder der Versorgung von Familienmitgliedern mit Behinderung honoriert und nicht bestraft werden. Wer 5 Kinder erzieht und bspw. noch jemanden pflegt, sollte entsprechend dieses großen gesellschaftlichen Beitrags unterstützt werden.
Wir kritisieren außerdem, dass eine Eigentumswohnung zukünftig nicht mehr als Grundvermögen gewertet werden soll und schlagen deshalb eine allgemeine Regelung im Umgang mit Eigentum vor: Wer vertraglich dazu bereit ist, seinen Grundbesitz (Häuser, Wohnungen oder Baugrundstücke) zu veräußern, könnte ebenfalls am Vergabeverfahren für ein Gemeindegrundstück teilnehmen. So könnten sich neue Chancen eröffnen, z.B. ältere Menschen, die alleine oder zu zweit in einem großen Haus wohnen und sich verkleinern möchten, hätten die Möglichkeit, sich erfolgreich zu bewerben, um altengerechtes Wohnen zu realisieren. Durch die Veräußerungspflicht würde dann ein großes Haus im Ort frei, das Familien zum Kauf zur Verfügung stünde.
Eine tabellarische Übersicht über die Veränderungen der Richtlinie finden Sie hier.
Foto von Luke Besley auf Unsplash